- Messenger
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Im ersten Licht des Tages und in voller Kampfausrüstung wateten 49 spanische Marinesoldaten am 27. April 1521 an den Strand der kleinen Philippinen-Insel Mactan. Das Kommando führte der berühmte portugiesische Generalkapitän Fernando Magellan. Am Ufer warteten trotz der frühen Stunde schon 1500 bewaffnete Krieger auf ihn und seine Männer.
Der Angriff endete im Desaster. Er hatte schon mit fatalen Fehleinschätzungen begonnen: Draußen auf See lag zwar eine Flottille von 30 Kriegskanus, bemannt mit rund 1000 Kriegern des Radschas von Cebu. Doch der Portugiese in Spaniens Diensten wollte diese Unterstützung nicht, sondern seinen Verbündeten europäische Überlegenheit demonstrieren.
Die fußte auf Waffentechnik, die aber gar nicht zum Zuge kam. Es herrschte Ebbe, die dem Strand vorgelagerten Korallenriffe waren teils trockengefallen. Die drei spanischen Landungsboote, besetzt mit weiteren elf Soldaten, mussten weit draußen vor der Niedrigwasserlinie verharren. Damit lag der Strand außerhalb der Schussweite ihrer Falconetten, der Geschütze an Bord. Die Spanier waren gezwungen, sich in voller Montur 700 Schritt durch Wasser und über schwierigstes Gelände vorzuarbeiten.
Einer von ihnen war der venezianische Ritter Antonio Pigafetta, dessen Reisebericht über die erste Umsegelung der Erde weltberühmt werden sollte. Pigafetta trug beim folgenden Gefecht nur eine Blessur im Gesicht davon, den Streifschuss eines Pfeils.
Er überlebte, Magellan nicht.
Die Hybris der Weltherrscher
Zur Zeit seines Todes waren der Portugiese und sein persönlicher Sklave Enrique die einzigen Menschen, die leibhaftig die Erde umrundet hatten – nicht in einem Anlauf, aber immerhin sukzessive. Ihre aktuelle, epische Reise war natürlich wirtschaftlich motiviert: Die Europäer wollten die sagenhaften Gewürzinseln der Molukken erreichen, den damals einzigen Ort, wo Nelken- und Muskatnussbäume wuchsen.
Solche Gewürze, wie auch Pfeffer, Zimt, Kurkuma und Ingwer, waren in der Ökonomie des ausgehenden Mittelalters von höchstem Wert. Wenn es Magellans Expedition gelänge, den Zwischenhandel der Inder, Araber und Venezianer auszuschalten, konnten sie und die spanische Krone mit dem Verkauf der Gewürze in Europa unermesslich reich werden.

Der deutsche Kolonialismus: Die verdrängten Verbrechen in Afrika, China und im Pazifik
Inhaltsverzeichnis
Jetzt online bestellen, und das Heft wird zu Ihnen nach Hause geschickt!
SPIEGEL GESCHICHTE im Abo
Offiziell waren Magellans Ziele allerdings durch einen vermeintlich edlen Zweck geheiligt: Portugal und Spanien hatten die Erde in einem Vertrag mit dem Papst unter sich aufgeteilt. Das vorgeschobene hehre Ziel aller Entdeckungen und Eroberungen war nun die Bekehrung und Erlösung der »Heiden«. Und als solche galten alle Völker aller Hautfarben jenseits von Gibraltar.
Magellan hatte mit dem spanischen König und Kaiser Karl V. einen Vertrag geschlossen, der ihn verpflichtete, auf seiner Reise mit den regionalen Fürsten Abkommen zu schließen, die eine Unterwerfung unter Krone und Kirche beinhalteten. Die letzte Station Magellans vor seinem Tode war die vielversprechende Insel Cebu, das regionale Handelszentrum in diesem Teil der Philippinen. Es lief gut: Huambon, der dortige Radscha, hatte das Kreuz geküsst und ein Bündnis mit Spanien beschworen.
Vertrauen auf die überlegenen Waffen
Entsprechend freudig war die Stimmung auf Cebu, nur ein kleines Problem hatte Magellans neuer »Bruder«, der Radscha Huambon: Er beklagte sich, dass ein Kleinfürst der Nachbarinsel Mactan ihm partout nicht tributpflichtig sein wollte.
Wenn es weiter nichts war! Magellan versprach seinem neuen Bündnispartner und frisch bekehrten Christenbruder, die Sache sogleich aus der Welt zu schaffen.

Fotostrecke
500 Jahre Magellan: Der erste Weltumsegler
Foto:
Granger, NYC/ ullstein bild
Was folgte, waren frappierende Fehler der Kriegskunst und Menschenführung, die man von einem erfahrenen Soldaten wie Magellan nicht erwarten würde. Doch der hatte schon 1505 die Erfahrung gemacht, dass europäische Soldaten mit guten Waffen indigenen Kriegern weit überlegen sein konnten: Noch als Soldat in Portugals Diensten war er Teil einer kleinen Truppe, die mit zahlreichen Kanonen bestens bewaffnet vermeintlich übermächtige indische und arabische Armeen überwunden hatte.
Kein Einzelfall: Todesursache Selbstüberschätzung
Innerhalb weniger Jahre hatte sich Portugal die Seeherrschaft im Indischen Ozean erkämpft und kontrollierte zahlreiche Städte und Häfen an Indiens Küsten. Vielleicht war es diese Erfahrung, die sich mit dem Dünkel der portugiesischen und spanischen Aristokratie zu einem Gefühl der Auserwähltheit und Unverwundbarkeit paarte, zu Hochmut und völliger Verblendung.
Weltkrieg um Zimt und Nelken
Entdecker des NichtsVon Annette Bruhns
Amazonas-Expedition 1925: Lost im RegenwaldVon Frank Thadeusz
Denn wie überlegen die spanischen Waffen auch sein mochten, eine Strafexpedition blieb ein gefährliches Unterfangen. Es widersprach allen Anweisungen und Gepflogenheiten der spanischen Marine, dass ein Kapitän persönlich eine solche Aktion anführte. Jedermann in der Flotte kannte doch das Schicksal João Dias de Solis, wie Magellan ein Portugiese in Spaniens Diensten.
Erst fünf Jahre waren vergangen, seit dieser Kapitän 1516 in Südamerika sein Leben verloren hatte. De Solis hatte sich im heutigen Grenzgebiet zwischen Argentinien und Uruguay mit nur zwei Offizieren und sieben Soldaten auf eine Expedition begeben, um den soeben entdeckten Rio de la Plata zu erkunden. Die Europäer kamen wenige Kilometer weit – nur ein Schiffsjunge überlebte den Angriff indigener Krieger.
Gerüchte über Kannibalismus
In der spanischen Flotte kursierte bald das Gerücht, de Solis und seine Männer seien zerteilt, gekocht und verzehrt worden: Unwahrscheinlich, weil die örtlichen Charrúa keinen Kannibalismus praktizierten, aber auch nicht völlig unmöglich, falls die Expeditionsteilnehmer Opfer von Kriegern des Guaraní-Volkes geworden sein sollten. Die siedelten allerdings deutlich weiter landein- und flussaufwärts. So oder so hatte sich die Geschichte von de Solis unrühmlichem Ende in Spaniens Flotte rasend schnell verbreitet – als mahnendes Beispiel.
Fernando Magellan agierte am 27. April 1521 nicht so, als ob er sich für mahnende Geschichten interessierte. Auch er führte seine Männer gegen einen übermächtigen Gegner in den Untergang.
Die Widersacher agierten clever. Cilapu Lapu hatte seine Streitmacht aufgeteilt: Zwei Haufen griffen die Spanier von den Seiten an, der dritte kam frontal. Eine halbe Stunde lang schoss die spanische Marineinfanterie mit Musketen und Armbrüsten auf die Insulaner, ohne großen Schaden anzurichten. Wenngleich die Kugeln und Pfeile die Schilde des Gegners durchbohrten, waren die Wunden, die sie dann noch schlugen, gering. Und die Falconetten der Landungsboote konnten nicht zum Einsatz kommen.
Der Augenzeuge Pigafetta berichtete: »Magellan befahl nun, das Dorf in Brand zu stecken. Aber der Anblick der Flammen machte die Insulaner noch wilder und blutgieriger.«
Bald zogen sich die Spanier in Richtung des Riffs und der Boote zurück. Aus der ersten Bewegung wurde rasch eine ungeordnete Flucht. Magellan übernahm Verantwortung, er deckte seine Leute und hielt mit wenigen Getreuen die Stellung am Strand.
Was dann geschah, schilderte Pigafetta im Detail:
»Einem Insulaner gelang es, Magellan mit der Lanze im Gesicht zu verwunden. Der Generalkapitän durchbohrte seinen Gegner auf der Stelle mit seiner eigenen Lanze, die nun aber im Körper des Getöteten steckenblieb. Er wollte seinen Degen ziehen, vermochte ihn aber nur halb aus der Scheide zu bringen. Der ebenfalls verwundete rechte Arm gehorchte ihm kaum mehr. Als die Insulaner dies sahen, drangen sie in einem Pulk auf ihn ein. Magellan empfing einen Lanzenstich in den linken Schenkel und fiel auf das Gesicht. Im selben Augenblick warfen sich alle Feinde auf ihn und hieben mit ihren Waffen auf ihn ein. So starb unser treuer Führer, unser Licht, unsere Stütze.«
Die Insulaner von Mactan gaben den Leichnam nicht heraus. Und so ist der Mann, der unterwegs auf seiner Weltreise mehr Orte benannt hatte als je ein Mensch zuvor, an einem unbekannten, namenlosen Ort verscharrt – eine Ironie der Geschichte.
Magellans Herkunft ist ähnlich ungeklärt. Auch Ort und Datum seiner Geburt sind nur ungefähr bekannt: In seiner Jugend lebte er in Nobrega im Nordwesten Portugals. Bei seiner Ankunft in Spanien ließ er sich als Bürger von Porto registrieren. Ob Magellan dort auch geboren wurde, muss dahingestellt bleiben, ebenso das Datum, irgendwann zwischen 1470 und 1480. Als er starb, war der Generalkapitän demnach in seinen Vierzigern.
Nur 18 der 242 Seeleute kamen zurück
Und er wäre wohl vergessen worden, hätte es nicht den schreibenden Zeugen Pigafetta gegeben. Sein Bericht wurde Ende des 18. Jahrhunderts in einem Archiv entdeckt und 1800 erstmals als Buch verlegt. Erst jetzt erkannte man in Magellan einen Pionier und »Held wissenschaftlicher Welterkundung«, so Alexander von Humboldt.
Wie viel Fernando Magellan wirklich zur Entdeckung der Welt beitrug, ist heute umstritten. Doch fraglos war er ein genialer Seemann, Nautiker und Entdecker – auch wenn seine Weltumseglung dann von Juan Sebastián Elcano zu ihrem Ende gebracht werden musste. Elcano fuhr am 6. September 1522 mit Magellans Schiff »Victoria« wieder im spanischen Heimathafen ein. Nach Hause brachte er noch 18 der ursprünglich 242 Seeleute, die zwei Jahre, elf Monate und zwei Wochen zuvor aufgebrochen waren.

Die große Reise kostete nicht nur Leben: Unter dem Strich wurde sie für Spaniens König zum Verlustgeschäft. Und sie trug wohl zur Erkenntnis bei, dass für die Europäer dieser Zeit mit solchen Expeditionen in die Herkunftsländer der kostbaren Gewürze noch kein Geschäft zu machen war. So blieb Magellans Reise lange Zeit einzigartig.
Erst 50 Jahre später sollte der Engländer Francis Drake als Zweiter die Welt umrunden, großteils auf den von Magellan erkundeten Wegen. Seine Expedition wurde, obwohl er drei Schiffe verlor, zu einem sensationellen Gewinn, aus naheliegendem Grund: Was Drake an Gold und Silber zurück nach England brachte, hatte er auf dem Weg als freibeutender Pirat den Spaniern geraubt.